Cronin – Escape from Fear
Archibald Joseph Cronin
Escape from Fear
Roman
mit zeitgeschichtlichen und lokalhistorischen Ergänzungen
übersetzt von Erika Sieder
21 x 15 cm, 160 Seiten,
22,00 € (38,00 sfr)
ISBN 3 85252 459 8
Bibliothek der Provinz, Großwolfgers 2003
In der Menschenmenge, die an diesem Dezembermorgen des Jahres 1950 in der Kärntnerstraße unterwegs war, befand sich ein gut aussehender Herr, so um die dreißig, dessen Anzugschnitt verriet, daß er Amerikander war. Er war groß gewachsen und gut gebaut, hatte ebenmäßige Gesichtszüge, sein Ausdruck war aber angespannt, und er warf immer wieder einen Blick zurück über die Schulter, als ob er Angst hätte verfolgt zu werden.
Auf halber Höhe der Kärntnerstraße bog er verstohlen in eine Seitengassse und betrat eine Bar. Er genehmigte sich einen doppelten Brandy. Im Halbdunkel dah er sich selbst im Spiegel hinter der Theke, aber ihm war, als sähe er einen Fremden. Er ging wieder hinaus, setzte seinen Weg auf der Kärntnerstraße fort, und als die Glocken des Stephansdomes viertel zwölf schlugen, betrat er mit rascher Entschlossenheit ein modernes Bürogebäude. “Guten Morgen, Herr Harker,” grüßte der Liftboy, aber Bryant Harker schien ihn nicht zu hören. Im fünften Stock stieg er aus und betrat die Brüroräume von The Consolidated Engineering Corporation – Austrian Branch. Ohne einen Blick auf eine der Angestellten zu werfen, die im vorden Zimmer arbeiteten, betrat er ein Büro, auf dessen Tür sein Name stand und die er hinter sich wieder versperrte.
Er ließ sich in seinen Sessel fallen und wandte sich, einige Momente später, dem Stapel von Briefen auf seinem Schreibtisch zu. Er zog ein großes Luftpost-Kuvert hervor, hielt es einen Augenblick in der Hand und riß es dann auf. Ja, es war genau das was er erwartet hatte.
Er betrachtete die Unterschrift am Ende des Papierbogens: W. R. Stevens, Präsident der Firma, für die er die Wiener Niederlassung führte. Harker fluchte und ließ das Blatt aus den Händen fallen.
Ein Auftrag für eine neue Brücke, die über die oberen Zuflüsse der Salzach gebaut werden sollte, ein beachtlicher Auftrag im Wert von mehreren Millionen Dollar, war vor sechs Wochen vergeben worden. Er hatte Pläne vorbereitet und Zahlen übermittelt. Er wußte, daß das von ihm gelegte Angebot das beste gewesen war, und dennoch wurde der Vertrag anderweitig abgeschlossen. Ein Resultat, welches – zumindest in den Augen von Stevens – an Harkers Fähigkeit , die Firma in Österreich effizient zu vertreten, zweifeln ließ.
Sie werden mich hinauswerfen, dachte Harker bitter, und sie haben allen Grund dazu. Jemand klopfte an der Tür, Harker durchquerte den Raum und drehte den Schlüssel im Schloß. Seine Sekretärin, Miss Petersen, kam herein. Sie war dünnes Mädchen mit braunen Haaren und einem etwas herablassenden Gesichtsausdruck, ihre gepflegen Fingernägel und ihr ordentliches blaues Kostüm symbolisiertengleichsam die Effizienz, mit welcher die Firma stets assoziiert wurde.
Harker setzt sich wieder nieder, und die saß vor seinem Schreibtisch, den Bleistift in der Hand. Er blickte plötzlich auf. “Warum schauen sie mich so an?”
Miss Peterson hob die Augenbrauen. “Wie bitte?”